CX LOUNGE Transkript #00

Status quo und Zukunft im Marketing

Zusammenfassung der Folge

10 Jahre Industrie, 10 Jahre Consulting, 20 Jahre Hochschullehre, verantwortlich für eine Reihe von Marketing-Standardwerken und jüngst die Buchveröffentlichung von H2H Marketing, The Genesis of Human-to-Human Marketing mit Philip Kottler und Uwe Sponholz: Prof. Dr. Waldemar Pförtsch ist der akademische Gesprächspartner, wenn es um Customer Experience geht und damit der optimale erste Gast für die CX Lounge. Im Gespräch wird deutlich, wie unterschiedlich B2B- und B2C-Marketing wirklich ist, warum Jeff Bezoz zukünftig nicht nur ans Weltall denken sollte und warum es heutzutage keine Alternativen zur Kundenzentrierung gibt.

Sprecher:
Kai Vorhölter x Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Kai Vorhölter

Herzlich willkommen zur CX Lounge, dem Customer Experience Talk in der DACH Region. Mein Name ist Kai Vorhölter. Ich bin Gründer und CEO der port-neo Digitalagentur Gruppe. port-neo hat sich spezialisiert auf das Thema Customer Experience. Von daher freut es mich sehr, dass ich heute meinen ersten Gast begrüßen darf: Professor Dr. Waldemar Pförtsch. Waldemar, toll, dass du da bist.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Hallo Kai. Schön, dass ich hier sein kann.

Kai Vorhölter

Ja, du bist nicht nur heute zu Gast, sondern wirst dann, wenn unsere Zeitpläne es hergeben, mein Dauergast sein in einigen Folgen. Wir kennen uns schon eine ganze Weile. Ich darf bekennen, dass du mein erster Marketingprofessor warst. Das ist jetzt, glaube ich, 20 Jahre her. Kann das sein?

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Das war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, 2000.

Kai Vorhölter

Lass uns aber vielleicht sogar noch einen Schritt vor unserem Treffen zurückgehen. Wenn man auf deinen Werdegang schaut, du warst ja wirklich sehr sehr erfolgreicher internationaler Unternehmensberater, Seniorpartner von, was – Arthur Andersen glaube ich?

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Arthur Andersen hieß das damals. Vielleicht im großen Zusammenhang: Ich habe in Berlin studiert, bin von Berlin nach Afrika gegangen, habe für die UN gearbeitet. Bin dann, weil ich was tun wollte, in die deutsche Industrie, war bei Siemens zehn Jahre lang und bin dann über Chicago, wo ich selbst eine Unternehmensberatung gegründet hatte, in die Unternehmensberatung hier gegangen. War bei Arthur Andersen Partner. Arthur Andersen ist 2000 verschwunden, aus bekannten Gründen. Und dann bin ich in die Lehre. Erst Villingen-Schwenningen und habe dann nebenbei die VWA in Stuttgart mitgemacht und war dann 20 Jahre in Pforzheim. Das heißt, wenn ich jetzt meine Karriere so anschaue: zehn Jahre Industrie, zehn Jahre Consulting, 20 Jahre Lehre. Meine Karriere ist hoffentlich noch nicht vorbei, weil ich nach dem Ausstieg in Pforzheim noch weitere Sachen mache. Ich bin auch an der Tongji in Shanghai, ich arbeite für die TUM in München. Habe jetzt ein Assignment in Tirana für Epoka University und hoffentlich lande ich dann im März in Zypern.

Kai Vorhölter

Das klingt auf jeden Fall nach einer spannenden weiteren Reise. Lass uns doch vielleicht ja, du hast es eben kurz angesprochen, über dein aktuelles Buch etwas sprechen. Da vielleicht einmal die Frage an dich: Also tatsächlich, ich habe auch schon das ein oder andere Mal mich nicht mit dem Gedanken rumgetragen, selber auch ein Buch zu schreiben. Ich bin leider über diesen initialen Gedanken noch nicht wirklich darüber hinweggekommen. Ich finde es auch durchaus eine Herausforderung. Ich glaube das sagen auch andere, die schon mehrere Bücher geschrieben haben, dass es so wichtig ist, diesen ersten Schritt zu machen. Gut das gilt für viele Sachen, aber gerade beim Schreiben. Und natürlich braucht man auch so eine Initialzündung, dass man mal für sich denkt: „Okay, das braucht es jetzt noch oder da ist was drin.“ H2H Marketing. Wie kam es zu der Geburtsstunde, dass du gesagt hast: Es ist jetzt Zeit für dieses Buch?

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Ich hatte es ja schon angedeutet, meine Entwicklung und die Entwicklung vom Philip Kotler, die treffen sich immer wieder. Und wie gesagt seine Bestrebung den amerikanischen Kapitalismus anders zu machen, trifft sich mit meinen Einsichten, dass aus B2B und B2B2C und B2C was Neues geworden ist. Wir haben ja jetzt über die Pandemie und natürlich auch die letzten 20 Jahre die Digitalisierung. Und die Digitalisierung hat die Beziehungen zwischen den Unternehmen und Menschen grundsätzlich verändert.

Eine wesentliche Einsicht die für mich gekommen ist, ist dass wenn ich Unternehmen mit Unternehmen arbeiten lasse, also B2B, dann habe ich immer eine Gruppe von Menschen. Und diese Gruppe von Menschen hat früher sozusagen in dem Modell, das wir hatten institutionell zusammengearbeitet. Heute sind aber die Mechanismen so diffizil und so entwickelt, dass im Prinzip Unternehmenschefs oder Entwicklungschefs oder Einkäufer oder was auch immer direkt miteinander reden können.

Und dieses direkt miteinander reden über Zoom, über E-Mail, was auch immer, SMS, Social Media, … alles Mögliche. Hat eine völlig neue Relation und hat auch völlig neue Verhältnisse geschaffen. Das heißt, Entscheidungen werden nicht nur abstrakt getroffen, sondern ich weiß wie, die entschieden werden, weil ich weiß, wie die Persönlichkeit des Chefs ist oder des Chefeinkäufers ist. Und er hat ganz gewisse Präferenzen und wenn ich die verstanden habe, dann kann ich völlig anders mit ihm umgehen. Das heißt, die Verhältnisse zwischen Institutionen – ich komme ja aus dem B2B – sind nicht mehr Verhältnisse zwischen Institutionen, sondern Verhältnisse von Leuten, die in Institutionen sind, die aber selber eine Persönlichkeit haben.

Das heißt, diese menschliche Entscheidungsfähigkeit oder die menschlichen Verhältnisse sind einfach Realität geworden und wir sehen in eigenen oder auch in Unternehmensentscheidungen, wenn ich ein Verhältnis habe, dann fallen die Entscheidungen mehr zu meinen Gunsten oder nicht zu meinen Gunsten aus.

Und wenn ich da was tue dazu, wenn ich diese Prinzipien kenne, wenn ich weiß, was steckt dahinter? Sowohl vom Ablauf her, also vom Prozess her, als auch von der Psychologie her. Wer bin ich da? Dann kann ich mich anders verhalten und es kommen, deswegen finde ich das auch interessant, mit dem Philip zusammen, es kommt auch noch ein ganz anderes Wertgerüst dazu.

Will ich mit den Leuten arbeiten, die unbedingt 37 Prozent Ergebnis haben wollen? Will ich mit Leuten arbeiten, die sich nicht um die Umwelt kümmern? Das wird jetzt in diesem neuen Buch thematisiert. Es wird nicht wertend thematisiert, „du musst echt H2H machen, du musst diesem Prinzip folgen“, sondern es wird aufgezeigt, dass es neue Verhältnisse gibt.

Und ähnlich wie im B2B-Buch, sind Beispiele aus der Praxis, wo man sich daran orientieren kann oder auch nicht. Also wir sagen jetzt nicht „ihr müsst“. Es nützt ja auch nichts. Die Unternehmen machen das, was funktioniert. Aber wir sehen immer mehr, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die sich dem Prinzip zuwenden.

Also in dem Buch haben wir Whole Foods drin, also ein Lebensmittel Händler, der wirklich sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden als auch die Supplier, in eine Win-win-Situation bringt. Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit Sap. Die verhalten sich fast so ähnlich in China. in Deutschland verhalten sie sich noch anders, aber in China müssen sie sozusagen auf die Verhältnisse dort eingehen, weil die Bedingungen sich dort gewandelt haben. Die machen Design Thinking Workshops mit dem Kunden zusammen, die machen eine Analyse von der Interaktion. sie betrachten den Footprint oder den Impact, den sie da haben, wenn sie gemeinsam ein Projekt machen. Das heißt, sie bewegen sich auf eine Ebene zu, wo sie auch H2H Companies werden.

Kai Vorhölter

Du hast gerade eben gesagt, das ist eine Frage der gemeinsamen Werte, ein Stück weit auch natürlich damit Haltung, die generell ein Unternehmen einnimmt oder der Konsument – wir müssen es ja nicht immer nur auf die B2B beziehen – oder immer per se erst mal der Empfänger der Leistungen. Und ich fand es ganz spannend, alleine wenn man hier das Vorwort sich anschaut. Da steht zum Beispiel, habe ich mir markiert, den Satz: „[…] it encourages us to question our approach to marketing from a consumeristic frame to a service-dominated frame.”

Das war ein Satz, der mir so ein bisschen entgegengeflogen ist. Da sagst du vielleicht noch was zu, aber vielleicht noch mal weiter zu dem, was wir gerade gesagt haben. „[…] to achieve business goals, respecting the individual human subject is fundamental rather than accelerating consumerism.”

Da steckt ja schon eine ganze Menge Power dahinter. Also das heißt, da ist ja ein Stück weit der Appell zu sagen, es geht nicht mehr darum, das Profitdenken an erster Stelle zu stellen, sondern mehr. Als ich das erste mal das gelesen habe und auch den Titel, da habe ich gedacht, das klingt ja fast schon ein bisschen esoterisch. Jetzt geht es ja nach wie vor im Business darum Geld zu verdienen.

Wie vereinbart man denn diese augenscheinlichen Gegensätze? Magst du darauf eingehen?

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Also Shareholder Capitalism, wo ich wirklich in den Share-Preis oder den Zugewinn an Share-Preis sozusagen als ultimatives Ziel der Aktivitäten sehe oder den Stakeholder. Und dem Stakeholder wird der Share ein Teil. Also bei Dell haben wir jetzt gehört, ist der siebte Faktor in den Aktivitäten, was Dell macht. Also das heißt, wir wissen völlig klar, Unternehmen müssen Profit machen. Zum einen, um die Kredite zu bezahlen, zum anderen, um die Innovation und das Investment zu ermöglichen. Aber wenn ich meine Mitarbeiter nicht auf einem Stand habe, dass die zufrieden sind, dann ist auch die Produktivität geringer. Wenn ich meine Kunden nicht auf einem Niveau habe, dass sie sagen, „hey ich komm von alleine wieder“, dann habe ich zusätzlich Investitionen.

Und wenn ich mit der Umwelt so umgehe, dass ich das auch noch in 50 Jahren machen kann, dann habe ich eine völlig andere Basis, als wenn ich sage: „So jetzt, die 37 Prozent und shit-egal, ob die Leute da mitziehen oder nicht. Sie wechseln die aus.“

Das heißt, der Appell, der in diesem Buch drinsteht, heißt: „Schau bitte rechts und links. Schau, was bedeutet es für die verschiedenen Stakeholder? Was bedeutet es für dich selber? Und wie kannst du damit und mit dir zufrieden sein? Kannst du abends gut schlafen, wenn du das machst?“ Da gibt es immer wieder individuelle Entscheidungen, aber ich denke, wenn es eine Reihe von Unternehmen gibt, die in diese Richtung denken und auch noch handeln wird sich die Welt verändern.

Also kriegen wir eine nachhaltige Versorgung zustande? kriegen wir eine zufriedene Gruppe von Kunden? Und natürlich auch Mitarbeiter? Also Amazon zum Beispiel macht extrem viel Umsatz gegenwärtig, aber haben 150 Prozent Turnover on People. Also die können gar nicht mehr genug anheuern, wie die Leute davonlaufen, weil die Bedingungen nicht passen. Also jetzt machen sie was anderes. Ersetzen die Leute mit Robotern. Also ob das die Lösung ist, weiß ich nicht. Wie sieht es mit den Kunden aus? Gegenwärtig sieht es mit den Kunden super aus, aber die Verhältnisse zum Supplier sehen ganz fürchterlich bei Amazon aus. Also deswegen. Also Unternehmen wie Amazon müssen sich das überlegen und haben dann auch die Möglichkeit zu shiften. Also die müssen ja nicht radikal shiften. Die können ja graduell shiften. Deswegen Jeff Bezos würde ich gern mal ein Buch schicken, damit er mal nicht nur ans All denkt, sondern auch an die Erde hier unten, weil wir müssen hier weiterleben.

Ja, und die Frage ist, wie wollen wir hier weiterleben?

Kai Vorhölter

Also finde ich ein tolles Beispiel. da sind offensichtlich ein paar der Stakeholder von Amazon nicht gleichermaßen befriedigt oder angesprochen, wie es eigentlich notwendig wäre. Das war ja spätestens der Punkt, wo ich gesagt habe: „Waldemar, wir müssen da was zusammen machen“, ja weil wir von port-neo haben uns ja auf das Thema Customer Experience spezialisiert und haben für uns auch in unserem eigenen Markengerüst eine wichtige Kernkomponente festgehalten. Und die ist, dass wir gesagt haben: „In der heutigen Welt gewinnen Unternehmen und Kunden nur noch gemeinsam.“

Also diese alte Denke, dass man irgendwie, sagen wir, gehen wir mal 50-60 Jahre zurück. Da waren wir bei einer Verteilökonomie, da konnten Leute froh sein, dass ich ihnen ein Produkt angeboten habe. Da sind wir lange weg, aber dann gab es ja eine ganze Weile dieses, dass man versucht hat, wirklich den Kunden möglichst zu schröpfen, möglichst viel herauszuholen, auch marketingtechnisch. Share of Wallet, also die ganze Diskussion im Marketing war es dann auch, wie kann ich dann noch mal was rausholen, noch günstiger zum Kunden zu kommen, aber dass er quasi noch mehr Geld bei mir lässt.

Und das ist natürlich tatsächlich das, was nachhaltig betrachtet, nach unserer Meinung nicht mehr funktionieren wird.  Und das bedeutet natürlich, dass ich plötzlich als Unternehmen auch, ich darf nicht mehr nur darauf schauen zu sagen: „Okay, Hauptsache ich kriege den irgendwie über die Schwelle gezogen / getragen und dann hoffe ich noch, dass wir einigermaßen von der Produktion oder unserer Dienstleistung oder unseres Produktes dann noch einen ordentlichen Job machen“. Sondern ich muss mir das viel holistischer anschauen. Eigentlich die gesamte Beziehung, – Relations, hast du ja eben mal gesagt – die ich als Unternehmen mit den Kunden teile wird wichtig.

Und da kommen wir vielleicht zu dem anderen Zitat, was ich eben aus dem Vorwort schon einmal gelesen hatte, wo ja stand: Hey, wir kommen „[…] from consumeristic frame to a service dominant frame […]“, also von einem konsumorientierten, sagen wir mal Konsumenten-Bild oder Art der Zusammenarbeit hin zu einem servicedominierten Kontext.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Also hier ist ein ganz wichtiger Aspekt sozusagen, der auch ein Paradigma shift hervorruft. Also den Konsumenten sozusagen „zu bedienen“ ist ein Thema, aber wenn ich den Konsumenten mit einer Serviceorientierung, also jetzt speziell, wenn ich die Service Dominant Logic verwende, dann sehe ich den Kunden ja völlig anders, weil der Kunde, der alte Kunde, der Consumerism-Kunde, hat ja das Produkt benutzt / zerstört / aufgegessen / abgefahren oder wie auch immer. Aber die Service Dominant Logic sieht das anders. Also ich kaufe ein Auto nicht, um es sozusagen zu benutzen, sondern um mit dem Auto mehr zu schaffen.

Kai Vorhölter

Ja, oder Erlebnisse.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Ja, ich habe ein Erlebnis, ich fahr zum Meeting, ich transportiere was. Das heißt, ich mache eine Wertgenerierung, also Value Generation und zwar jointly. Ich stelle sozusagen als Anbieter dir einen Service zur Verfügung. Also nicht nur das Auto, sondern dass das Auto auch fährt mit Service und Reparatur und alles Mögliche und wenn ich dieses Produkt dann habe, schaffe ich neuen Wert damit. Also ich kann jetzt meine Familie zu Weiterbildungs-Veranstaltungen schleppen oder zum Urlaub fahren oder was auch immer. Das heißt, in der alten Betrachte war man eigentlich froh, dass das Produkt weg war.

Kai Vorhölter

Wenn es hoffentlich keine Probleme gab.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Ja, genau, wenn es hoffentlich keine Probleme gab. Aber in der neuen Betrachtung will ich ja, dass der Kunde mehr draus macht. Wenn das Auto dann kaputt geht, muss ich natürlich dafür sorgen, dass es wieder repariert wird. Also hier kommt das Tesla Beispiel rein. Eigentlich will ja Tesla gar keine Autos verkaufen. Die wollen, dass die Autos genutzt werden. Gegenwärtig ist das Verkaufsmodell das Modell, das üblich ist und deswegen kaufen auch die Leute. Aber eigentlich wollen sie gar nicht verkaufen, weil sie wollen ja ständig neue Sachen liefern. Also neue Software Updates oder neue Hardware Updates. Wenn ich das Auto natürlich nicht besitze als Unternehmen, muss ich es zurückkaufen oder muss ich den Kunden anregen, das zu machen. Weil das ist ja dem Daimler sein Problem. Also der hat ein Auto verkauft und dann hat er einen alten Softwarestand und hat einen alten Sicherheitsstand und und und. Dann musste er es verschrotten. Also wenn ich aber ein Auto habe, was ich sozusagen zur Wertgenerierung einsetze, dann bin ich auch bereit, jetzt den Auto-Piloten einzusetzen oder was auch immer. Nen Zugang zum All. Und dieser Paradigma-Shift bringt einen völlig anderen Blickwinkel.

Das heißt, ich will nicht, dass der Kunde mein Produkt kauft, damit er es hat, sondern ich will, dass er das Produkt kauft, damit er mehr daraus macht. Nummer eins: geht er von mir nicht mehr weg, der will ja bei mir bleiben und nicht nur als Produkt, sondern er will ja auch meine Service-Leistungen haben. Er will ja, das das Auto fährt. Und wenn ich eine neue Vorderachse habe, dann sagt er, „warum kriege ich jetzt nicht die neue Vorderachse?“, und deswegen, dieser shift in Service Dominant Logic ist zwar in Deutschland schon da – die ganzen Unternehmen verkaufen Services. Services, also viele: Also Finanzierungen, Dienstleistungen, und und und. – Aber sie haben diesen Paradigma-Shift noch nicht komplett gemacht.

Kai Vorhölter

Ja, beziehungsweise, also meine Wahrnehmung auch mit Kunden von uns ist, dass das oft wirklich noch als Cost Center gesehen wird, also als Übel oder was mitkommt. Ich muss halt das auch anbieten. Klar, man kann damit auch gute Margen teilweise machen, aber erstmal ist es etwas, was: braucht man halt.

Und ich glaube, da fängt jetzt auch das Umdenken an. Also du bist natürlich jetzt schon mal noch viel weiter gegangen, zu sagen, dass es darum geht, auch Mehrwerte über den Konsum hinaus zu schaffen. Aber ich glaube, es geht schon überhaupt erst mal um die Perspektive zu sagen, na ja, selbst wenn ich eine vermeintliche Krise habe mit meinem Kunden, sprich, etwas funktioniert nicht. Jetzt ist halt eine Chance, wiederum auch Beziehungen zu stärken. Wissen wir ja von uns selber und unseren persönlichen Beziehungen: Meistens sind es ja die Krisen, die einen dann noch stärker machen.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Aber ich denke, da ist sogar noch ein Schritt davor. Ich brauche einen entsprechenden Mindset. Also wenn ich diesen Mindset habe, ich will meine Produkte sozusagen transaktionsmäßig zum Kunden bringen, also Boxen schieben, wie man früher das immer genannt hat, also Einheiten oder ein Projekt oder was auch immer. Wenn ich das Projekt gemacht habe und es vorbei ist, bin ich zufrieden.

Nein, ich will eigentlich mit dem Kunden die Welt besser machen. Und wenn ich das will, wenn ich das in meinem Kopf habe, dann denke ich auch anders in der Art und Weise, wie ich das Produkt konfiguriere.

Kai Vorhölter

Oder designe. Also es fängt ja schon beim Produktentwicklungsprozess an.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Genau. Dann mache ich auch viel mehr Überlegungen, was muss denn da drin sein? Und dann auch wie ich es rüberbringe und wie der Service ist. Und dann wird das Ganze nicht zu Services sondern zum Service, wo ich sozusagen das gesamte Paket und damit auch die Möglichkeit für den Kunden, und den Kunden des Kunden – das geht ja dann noch weiter – schaffe, damit die dann noch mehr draus machen.

Kai Vorhölter

Also das ist wirklich genau, weswegen wir uns auf das Thema Customer Experience auch spezialisiert haben, weil wir sagen, dieses gesamtheitliche Erlebnis, was der Kunde mit der Marke mit dem Unternehmen hat, wird das A und O sein.

Und dann geht es natürlich darum, die gesamte Kundenerfahrung wirklich vom ersten Kennenlernen, sage ich mal, bis hin zur ersten – um es so ein bisschen zu wiederholen – vielleicht bis zur ersten Trennung und dann ein Wiedererkennen oder Wiedererleben der Beziehung. All das gilt es halt entsprechend abzudecken. Vielleicht noch ein Gedanke: ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich bin ja mittlerweile auch 20 Jahre schon im Geschäft. Wenn ich bedenke, so die letzten Jahre, es ging immer eigentlich darum: „Oh Vertrieb und Marketing = Riesen Gegensätze.“ Und es geht darum, diese zwei großen Silos zusammenzubringen. Und ich kann mir vorstellen, in einem deiner Bücher ist das auch ein großes Thema gewesen, zu sagen: „Okay, wo sind da jetzt die Schnittmengen? wie können Marketing und Vertrieb besser eine Sprache sprechen? Sich Kunden übergeben oder wo auch immer besser zusammenarbeiten?“

Jetzt kommt ja durch das Stichwort Service Dominant Frame oder Logic, kommt jetzt plötzlich ein komplett neuer Bereich dazu. Das ist ja auch für die Unternehmen natürlich jetzt eine Riesen Herausforderung. also ich würde so weit gehen, na ja das mit der Integration von vertrieb Marketing hat bei den meisten Unternehmen immer noch nicht ganz funktioniert. Jetzt gilt es ja noch einen Riesen weiteren Bereich hinzuzunehmen. Und du hast gerade eben angeschnitten, das Thema Produktentwicklung ja auch noch. Ich meine Produktentwicklung hängt zwar historisch gesehen immer so ein bisschen, wird gesagt, das gehört zum Marketing dazu, aber wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist es dann doch oft in der Forschungsabteilung etc. wieder ganz woanders verlagert.

So das heißt, da sind jetzt vier ganz große Bereiche, die ja für diese ganzheitliche Erfahrung, die der Kunde mit der Marke, mit dem Unternehmen machen soll, die müssen ja im Unternehmen auch zusammengebracht werden. Also das ist ja für die Unternehmen auch eine Riesen Challenge.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Das war eine Riesen Challenge und bleibt auch eine Riesen Challenge. Wir haben in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Situationen. In Deutschland ist es speziell stark in den B2B unternehmen, dass der Vertrieb extrem wichtig ist, weil es eine ganz intensive Kundenbeziehung gibt, die auch persönlich ist, deswegen haben die so eine große Macht. Aber das ist sozusagen in einem relativ überschaubaren regionalen und institutionellen Zusammenhang. Wenn ich die Welt anschaue, dann kann ich solche Verhältnisse kaum aufrechterhalten. Ich gebe dir ein Beispiel: die Firma Herrenknecht.

Kai Vorhölter

Tiefbohrer.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Genau, Tiefbohrer. Die geht auf die Baumer und lädt zur Baumer 4000 Leute ein. Weltweit. Einladen heißt natürlich: Hotel, Flug, etc. Das heißt, die bringen die zusammen, weil das sozusagen ihre Demonstration der Stärke ist. Das ist ein extremer Aufwand. Wenn man Marktführer ist, kann man das rechtfertigen. Und wenn man eine Wachstums-Quote von 10, 20 % Prozent hat, dann rechnet sich das auch. Aber der Aufwand ist natürlich extrem. Jetzt kam die Pandemie und – wunderbar – da kam plötzlich niemand. Ich erinnere 2010, als wir den isländischen Vulkan hatten, da fiel die Baumer auch aus, weil keine Flieger flogen.

Also es gibt verschiedene Gründe, dass sozusagen die alten Modelle nicht mehr funktionieren. Hinzu kommt, dass wir jetzt Wettbewerber haben, die aus China kommen, die nach diesem Modell gar nicht arbeiten können. Die können kein Englisch. aber ihre Maschinen sind genauso gut. Aber ihr Webauftritt ist komplett englisch und hochdynamisch und hat alle Instrumente, die die Unternehmer im Silicon Valley auch haben. Und die verkaufen mit einer spanischen Website in Südamerika und mit einer Suaheli-Webseite in Afrika. Der deutsche Herrenknecht muss da hinfahren oder die Leute einladen. Das heißt, dieses Vertriebsmodell funktioniert unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr.

Das bedeutet, ich muss dem Marketing mehr Kraft geben und das ist auch ein Problem der Firma Herrenknecht, dass die Marketing-Abteilung ein Anhängsel ist. Die ist eine Marketing-Kommunikations-Abteilung, also die hat ganz wenig mitzureden beim Design, die hat ganz wenig mitzureden beim Prozess, die hat ganz wenig … natürlich versucht sie mitzureden, aber sie ist nicht im Vorstand.

Also es gibt in Deutschland ganz wenige CMOs, Chief Marketing Officers. Da ist die Bedeutung des Marketings, ist in Deutschland auch relativ unten. Die meisten CMOs gibt es in Amerika, ohne Zweifel. Natürlich in der Softwareindustrie, natürlich auch in der Hardwareindustrie. Der Caterpillar hat auch einen CMO. Also nur mal, um jetzt die gleiche Industrie zu nehmen. Also da ist ein wahnsinniger Shift notwendig. Da ist ein Mindset der CEOs notwendig, aber auch im Sales. Man muss da nämlich auch sagen, die Jungs im Sales, die sind ja auch kraftvoll. die sagen auch wo es lang geht und die verdienen auch richtig flott, weil die kriegen immer Provision noch mit. Mit dem Ergebnis, dass ihre Machtposition extrem ist.

Das heißt, wir haben mit dem Hintenanstehen vom Vertrieb hinterm Marketing eigentlich keinen Vorteil mehr. Bisher hatten wir den Vorteil, weil wir ja jeden kannten. Wenn irgendwo ein Projekt entstanden ist, waren die Jungs dort. Aber heute geht es nicht mehr. Und außerdem sind die anderen schon dort. Oder umgekehrt: Der Kunde wird ja so wissend, dass der auf die Leute zugeht und by the way, die deutschen Preise sind 30% bis 50% höher als die chinesischen.

Kai Vorhölter

Ja, absolut. Ich meine, das Ding ist immer, wenn man selber in der Branche arbeitet, dann ist diese Forderung nach dem, wie du es sagst, CMO, die ist ja nicht neu. Im Gegenteil, die wird ja schon sehr sehr lange formuliert. Ich bin da aber auch bei dir zu Recht. Ich würde heute aber so weit gehen, der CMO reicht ja nicht mehr, sondern es braucht eigentlich heute den Customer Experience Officer, den CXO.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Absolut.

Kai Vorhölter

Der genau diese Art Advokat des Kunden ist, sowohl für Themen aus dem Digitalen – also eigentlich einen CDO unter sich haben muss – aber natürlich dann dieses Servicethema, das Produktentwicklungsthema zusammen mit dem Thema Vertrieb und Marketing zusammenbringt.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Kann ich nur unterstützen. Da gibt es ganz wenige. Es gibt Customer Evangelists. Es gibt Customer-Unterstützungspersonen. Also wenn es da eine Form gibt, die helfen könnte, dieses CX, die CX-Wahrnehmung zu stärken, kann ich das nur unterstützen.

Kai Vorhölter

Na ja, wir dürfen ja gespannt sein. Vielleicht gelingt uns ja in den nächsten Wochen und Monaten den einen oder anderen CXO hier begrüßen zu dürfen, in unserer Lounge.

Selbst wenn er den Titel jetzt noch nicht hat, weiß ich von den Gesprächen, die anstehen, dass da der ein oder andere dabei ist, der diesen Mindset zumindest dann schon mal mitbringt. Weil ich glaube, es war jetzt teilweise schon sehr kritisch von dir, dass wir da in Deutschland, sage ich mal noch etwas hinten dran sind.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Wir sind nicht hinten dran, wir haben Potenzial nach vorne.

Kai Vorhölter

A lot of room for improvement! Das ist immer gut. Aber nein, ich glaube wir haben auch einfach ein paar Leute, die schon auch in Deutschland – egal ob B2B oder B2C – doch da sehr weit vorn sind oder zumindest vom Denken schon mal sehr weit vorn sind. Und ich glaube, das wird superspannend, da mal reinzuhören, wo die denn aktuell stehen, ob die ein Stück weit auch, sage ich mal, unser beider Praxiserfahrung oder gerade bei dir jetzt noch mal aus der Hochschullehre auch, ob die das teilen und welche Herausforderungen die jetzt wirklich aktuell sehen. Sowohl zum Markt hin, aber auch intern. Interessiert mich auch sehr, vor welchen Herausforderungen steht man da im Unternehmen?

Wir wollen jetzt noch nicht zu viel verraten, wer da kommt, aber Waldemar, du kennst ja auch ein paar der Gespräche, die jetzt schon, sagen wir mal, terminiert sind. Worauf freust du dich? Wo bist du gespannt drauf, wenn du jetzt so an diese Serie denkst?

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Also wir haben ja unterschiedliche Leute, sozusagen in der Pipeline, die kommen werden, die aus bekannten Unternehmen in neuen Situationen sind. Also auf diese Innovation in den bestehenden Unternehmen bin ich sehr gespannt. Also ob das auch wirklich machbar ist, was man sich so vorgestellt hat.

Also habe ich ja bei anderen Unternehmen auch schon gesehen. Man hat eine tolle Idee und dann schüttet die Bürokratie das alles wieder zu. Das ist das eine. Das andere, was ich natürlich auch unbedingt erfahren möchte: Wird der Kunde ernst genommen in Deutschland? Also wir haben ja nicht ohne Grund den Marketingbegriff ziemlich negativ besetzt. Also wenn man über die Straßen geht und dann sagt jemand: „Das ist ja Marketing“, dann meint man damit, da wird hier eine vermeintlich nette Botschaft über einen schlechten Zustand gemacht.

Also das kommt davon, dass wir Disruptive Advertisement machen. Also wir machen eine Werbung, die uns stört. Ich fahre die Straße entlang und sehe ein Plakat. Ich würde lieber einen Baum anschauen und dann muss ich mich mit dem Plakat beschäftigen. Oder ich mache meine Mails auf und kriege 20 Spam-Mails.

Kai Vorhölter

Ja, nicht nur disruptiv, sondern das ist genau das, was wir eben auch schon besprochen haben. Es war in der Vergangenheit schon stark dieses „kauf mich“ im Vordergrund. Dann kommen wir jetzt in eine komplett neue Ära, wo es darum geht, wirklich eine Beziehung gemeinsam zu gestalten, aber auch Mehrwert, oder sagen wir, eine bessere Welt zu schaffen. Das klingt zwar etwas pathetisch, aber ich glaube, darum geht es.

Prof. Dr. Waldemar Pförtsch

Und auch gemeinsam. Also es ist ja nicht nur die Frage des Unternehmens, sondern es ist – der Kunde will ja MIT dem Unternehmen. Deswegen ist der Kunde ja Brandlover. Der will ja zur Marke hin, die er liebt, weil er mit der Marke gemeinsam was Gutes machen will. Also die berühmten Lovemarks. Also ich gehe zu IKEA, weil ich weiß, da krieg ich Dinge zu einem vernünftigen Preis, zu den Bedingungen, wie ich sie brauche.

Und von der Sorte, also Lovemarks, könnten alle werden – wenn sie es richtig machen.

Kai Vorhölter

Das ist doch ein schöner Appell. Auch dann vorausschauend schon an die Besucher, die wir hier in unserer Lounge dann in den nächsten Wochen begrüßen dürfen.

Waldemar, ich danke dir an der Stelle sehr. Ich fand es schon mal sehr inspirierend und spannend. Ich nehme mit, dass wir, wie hast du es genannt? Viel Raum noch für weitere Verbesserungen in Deutschland haben.

Was mir auch natürlich extrem hängen geblieben ist, ist was ihr im Buch mit H2H Marketing beschrieben habt, dass wir diesen radikalen Wechsel hin zu einer Serviceorientierung haben, weg vom reinen Verkauf. Und ich glaube, dass aller stärkste ist dieses neue Mindset, diese Haltung, die es gilt im Marketing, aber damit auch als gesamtes Unternehmen einzunehmen. Und zwar echt und nachhaltig. Also wir sprechen ja viel auch von Greenwashing und ich glaube, das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist auch noch ein CX-Washing. Also das muss schon sehr aus dem Unternehmen rauskommen. Das nehme ich heute mit und wie gesagt, ich bin super gespannt darauf, was unsere Gäste dann dazu sagen werden.

Lieber Waldemar, vielen Dank, dass du da warst. Ich fand‘s superspannend heute unser Austausch und freue mich wahnsinnig. Wir hatten schon gesagt, wir wissen ja wer kommt in den nächsten Wochen, dass wir einige spannende Gäste haben, mit denen dann in den spannenden Austausch zu gehen.

Danke fürs zuhören! Es hat riesig Spaß gemacht und schaltet einfach bei der nächsten Episode wieder mit ein. Wir freuen uns!

Alexandra Gerstung

„Die Welt soll Ihre Marke sehen? Melden Sie sich bei uns.“

Alexandra Gerstung
Business Development Manager